Die Welt des Buchdrucks ist ohne Gutenberg nicht denkbar. Seine Erfindung ermöglichte den Massendruck von Texten und blieb bis ins 19. Jahrhundert unverändert. Wir hatten die Gelegenheit, der Geschäftsführerin der Gutenberg-Stiftung einige Fragen zur Bedeutung Gutenbergs in der heutigen Gesellschaft und in der Welt des Buchdrucks zu stellen. Zvjezdana Cordier hat Slawistik, Geschichte und Publizistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz studiert und ist seit 30 Jahren im Kulturmanagement tätig. Seit 25 Jahren engagiert sie sich für das Erbe Gutenbergs.
drupa: Mit der Gutenberg-Stiftung haben Sie es sich zur Aufgabe gemacht, das Gutenberg-Museum zu unterstützen. Welche Rolle spielen physische Museen heute noch, wenn alle Exponate mit wenigen Klicks im Internet zu sehen sind?
Cordier: Früher hatten Museen die Aufgabe, eine Sammlung zu bewahren, zu erforschen und auszustellen. Heute sind moderne Museen so genannte "dritte Orte": Orte neben dem Zuhause und der Arbeit, an denen die Menschen ihre Freizeit sinnvoll, erfüllend und unterhaltsam verbringen können. Museen sind auch Orte, an denen die Besucher die Möglichkeit haben, sich grenzenlos weiterzubilden (z. B. durch zusätzliche Medien). Das Museum ist also ein Ort, der für alle da ist!
Ein digitales Bild oder ein YouTube-Video kann nicht das gleiche sinnliche Erlebnis des Buchdrucks für Augen, Ohren und Hände oder die Faszination der jahrhundertealten Buchmalerei vermitteln.
drupa: Mit der Gutenberg-Bibel besitzt das Gutenberg-Museum eines der wertvollsten Bücher der Welt, und sowohl das Museum als auch Ihre Stiftung tragen den Namen im Titel. Was bedeutet das Werk von Johannes Gutenberg für uns heute und welche Auswirkungen hatte seine Erfindung?
Cordier: Johannes Gutenberg löste um 1450 mit seiner Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Metallbuchstaben eine Medienrevolution aus. Nur 50 Jahre später waren Druckereien über ganz Europa verstreut. Wissen wurde plötzlich für viele Menschen zugänglich. Während Bildung bisher ausschließlich dem Klerus und einigen interessierten Aristokraten vorbehalten war, begann nun der Prozess ihrer Demokratisierung. Der Humanismus und die Reformation hätten ohne den Buchdruck niemals ihr volles Potenzial entfalten können. Unsere heutige Welt, einschließlich unserer Demokratie, ist das Ergebnis einer Entwicklung, die mit dem Buchdruck begann.
Die von Gutenberg ausgelöste Medienrevolution des 15. Jahrhunderts ist auch eine Voraussetzung für die nächste große Medienrevolution: die Erfindung des Internets in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Dank des Internets und des Smartphones explodierte die Menge des den Menschen zugänglichen Wissens. Geografische Informationsbarrieren wurden fast vollständig beseitigt. Das Prinzip ist dasselbe wie im 15. Jahrhundert: Mehr Informationen wurden für mehr Menschen zugänglich und konnten sich schneller verbreiten.
drupa: Johannes Gutenberg ist quasi der Begründer der Druckindustrie. Gab es in der Branche Persönlichkeiten mit ähnlich revolutionärem Potenzial?
Cordier: Sicherlich gab es viele große Persönlichkeiten, die die Druck- und Medienindustrie von 1450 bis heute vorangetrieben haben, z.B. Mergenthaler, Senefelder, König und Bauer, später Berners-Lee, dann Gates und Jobbs, um nur einige zu nennen. Jeder von ihnen widmete sich jedoch nur einem Aspekt: Mergenthaler dem Schriftguss und dem Schriftsatz, Senefelder dem Farbdruck, König und Bauer der Mechanik, Berners-Lee, Gates und Jobbs dem Vertrieb. Allerdings war keiner ihrer Fortschritte so beharrlich und perfekt wie Gutenbergs Erfindung. Man darf nicht vergessen, dass der Buchdruck von 1450 bis in die späten 1980er Jahre nach dem gleichen Prinzip funktionierte und auch heute noch im künstlerischen Bereich und in einigen Randbereichen des Drucks eingesetzt wird.
drupa: Das Gutenberg-Museum befindet sich in einem Prozess der Wiederentdeckung, der auch die strukturelle und inhaltliche Neuausrichtung umfasst. Als Weltleitmesse für die Druckindustrie ist die drupa Vorreiter für Entwicklungen und Trends und damit auf eine kontinuierliche Weiterentwicklung angewiesen. Wie wichtig ist es in der Druckindustrie, auf dem neuesten Stand zu bleiben, und wie schaffen Sie das?
Cordier: Natürlich ist es unsere oberste Priorität, neue Entwicklungen zu verfolgen, und ich denke, ich kann auch für die Wissenschaftler des Gutenberg-Museums sprechen. Seit ich in diesem Bereich tätig bin - das sind jetzt 25 Jahre - war ich auf jeder drupa, und das Gutenberg-Museum war schon vor meiner Zeit hier als Aussteller dabei. Ich war immer fasziniert von der Geschwindigkeit, mit der sich die Druckindustrie entwickelt hat: vom Buchdruck zur Platte, dann ohne Platte, dann komplett digital.
Auf der anderen Seite ist eine Rückbesinnung auf die Haptik deutlich zu erkennen. Wirklich schicke Drucksachen gibt es heute in besonderen, haptischen Materialien. Jedes Unternehmen, das etwas auf sich hält, lässt sehr gut gestaltete Visitenkarten wieder im Buchdruck drucken. Vielleicht ist es eine gewagte These, aber der 3D-Druck ist vielleicht auch Ausdruck der Tatsache, dass die Menschen nicht nur sehen, sondern auch fühlen wollen.
Ein zeitgenössisches Museum muss all diese Entwicklungen zeigen. Es darf weder im historischen noch im digitalen Zeitalter stecken bleiben, sondern muss konsequent Verbindungen zwischen Geschichte und Gegenwart aufzeigen.
drupa: Die Gutenberg-Stiftung bindet die Bürger stark in die Weiterentwicklung des Museums ein. Warum ist das wichtig und warum identifizieren sich die Mainzer Bürger so stark mit Johannes Gutenberg, obwohl er schon über 550 Jahre tot ist?
Cordier: Ein Marketingexperte würde sagen: Kaum eine Stadt hat einen USP wie Mainz mit Johannes Gutenberg. Mainz ist zwar historisch extrem wichtig, aber keine große und wohlhabende Stadt. Die internationale Bedeutung von Johannes Gutenberg in Form eines zeitgenössischen Museums nach außen zu kommunizieren, übersteigt die Finanzkraft einer mittelgroßen Kommune. Seit 1900, dem Gründungsjahr des Museums, war die Entwicklung des Gutenberg-Museums stets von bürgerschaftlichem Engagement geprägt. Ohne die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger wäre die Existenz eines Museums für den größten Sohn der Stadt Mainz nicht denkbar.
Das Engagement für Gutenberg und das Gutenberg-Museum ist jedoch nicht regional begrenzt. Gutenberg ist von globaler Bedeutung, und seine Popularität scheint sogar mit der Entfernung zu wachsen. Die Amerikaner zeichneten ihn 1998 mit dem Titel "Man of the Millennium" als wichtigste Persönlichkeit des zweiten Jahrtausends aus. Die Gemeinschaft der Gutenberg-Fans ist so international wie die drupa. Aus diesem Grund haben wir im vergangenen Jahr einen Gutenberg-Freundeskreis gegründet, in dem wir "GUTE FREUNDE" sammeln. Angesichts des immensen Projekts der Erneuerung des Gutenberg-Museums brauchen wir eine breite Lobby von Unterstützern.
drupa: In der Theorie: Stellen Sie sich vor, Gutenberg lebte in der heutigen Welt. Was würde er von den aktuellen Techniken wie Print-on-Demand halten? Und würden wir ihn auf der drupa treffen?
Cordier: Er würde sicherlich jede drupa besuchen und die modernen Techniken gutheißen. Seine Voraussetzung wäre allerdings, dass die Ergebnisse gut und von hoher Qualität sind. Was an Gutenbergs Bibel auffällt, ist ihre Perfektion, sowohl bei den verwendeten Materialien als auch beim Schriftsatz. Gutenbergs Ziel war es, den Eindruck eines perfekt geschriebenen Manuskripts im Druck zu erwecken. Zu gerne würde ich wissen, ob er im 15. Jahrhundert geahnt hat, welche Veränderungen seine Erfindung nach sich ziehen würde.