Seit Ende November 2022 vergeht kein Tag, an dem nicht eine neue Meldung zum Thema «Künstliche Intelligenz» (KI), publiziert wird. Durch die Entwicklungen im Bereich der generativen KI und den dahinter liegenden Sprachmodellen steht die Anwendung von KI jetzt allen offen. Mit »Chat GPT« kann man sich auf die Schnelle einen Text schreiben und oder mit »Midjourney« realistische Bilder generieren lassen. Welche Auswirkungen wird KI auf die Medien- und Druckindustrie haben?
Qualitäts- und Prozessoptimierung sind in der Druckbranche seit vielen Jahren ein Thema, und sehr oft kommt dabei Künstliche Intelligenz (KI) oder besser gesagt «Machine Learning» (ML) zum Einsatz, die sich gezielt um einzelne Aufgabenstellungen kümmert. In der Regel werden solche Ansätze als schwache KI-Lösungen eingestuft. Mittels Bilddatenerfassung und -erkennung wird etwa die Qualität über alle Prozessstufen hinweg kontrolliert, und im Falle einer Abweichung von den Referenzdaten gleicht eine Software diese automatisch aus. Das passiert on-the-fly ohne jeglichen manuellen Eingriff. Das trifft auf analoge wie digitale Druckmaschinen gleichermaßen zu.
Hinsichtlich der Prozessoptimierung ist in den letzten Jahren viel passiert, und die Gesamtanlagen-Effektivität (OEE) wird kontinuierlich weiter angehoben. Hinter dem Kürzel OEE steckt eine betriebswirtschaftliche Kennzahl, die den Prozentsatz der tatsächlich produktiven Fertigungszeit misst. Der Durchschnittswert bei Offsetdruckmaschinen liegt nach aktuellen Zahlen von Heidelberg gerade einmal bei etwas über 30 Prozent. Einzelne Druckereien , die voll auf Automatisierung und Optimierung setzen, erzielen je nach Auftragsmix heute schon Spitzenwerte von mehr als 60 %. Durch die Einbindung der Maschinen in cloudbasierte Lösungen lassen sich Auftragsabfolgen, Rüstzeiten, Makulaturraten, Prozessstabilität und vieles mehr verbessern. Aber auch präventive Wartungskonzepte helfen, die Verfügbarkeit der Maschinen hochzuhalten. Dazu braucht es Big-Data-Anwendungen, die über die Cloud laufend mit neuen Daten versorgt werden.
Hinter generativer KI steht ein datengetriebener Algorithmus. Die Daten dafür liefert das Internet in Hülle und Fülle, und über die Plattformen von E-Commerce oder Social Media geschieht dies de facto on-the-fly. Im Hintergrund agierende Datenbanken füttern die Algorithmen ganz gezielt, bis sie im Laufe der Zeit zu mächtigen Werkzeugen herangewachsen sind. Amazon etwa hat schon vor Jahren einen Algorithmus geschaffen, der vorhersagt, was Kund*innen als Nächstes kaufen werden. Mit dem Chatbot »Chat GPT« von OpenAI und den Bildgeneratoren wie »Stable Diffusion« oder »Midjourney« erschließt sich die KI-Welt für alle, ohne eine einzige Zeile selbst programmieren zu müssen.
Erstaunlich ist, wie rasch die Entwicklung und die Marktpenetration einzelner KI-Lösungen vonstatten gegangen ist. OpenAI hat Chat GPT in 2,5 Jahren aus dem Boden gestampft, am 30. 11. 2022 wurde sie scharf gestellt und innerhalb von 5 Tagen hatten sich 1 Millionen Nutzer registriert. Zwei Monate später waren es bereits 100 Millionen. Im Vergleich dazu benötigte Facebook zehn Monate. Ein Problem aller generativen KI-Lösungen ist die »Datenbasis«, auf dem KI aufbaut: Woher kommen die Daten? Mit welchen Daten werden die Algorithmen gefüttert? Wie wird in KI-Lösungen etwa Diversität abgebildet? Das sind mit Sicherheit nicht die einzigen Fragen, die ungeklärt im Raum stehen. Wo liegen die Urheberrechte – beim Unternehmen, das die KI-Lösung entwickelt hat, oder beim Nutzer der KI-Lösung? Auch Fragen des Datenschutzes müssen neuerlich hinterfragt werden, denn KI-Anwendungen finden Grossteils in der Cloud statt und das Thema Nachhaltigkeit wurde bis dato weitgehend ausgeblendet.
ChatGPT lässt sich durchaus im professionellen Umfeld einsetzen. Etwa als Unterstützung in der Beratung im Onlineshop, wo Chatbots ja bereits heute im Einsatz sind. Aber auch im Kundenservice, im Marketing, wenn es um die Erstellung von Posting-Texten geht, oder für den Aufbau von Produktseiten und hier vor allem für das Formulieren von Produktbeschreibungstexten. Gerade in diesen Bereichen lassen sich manuell zeitaufwendige Aufgaben durch den Einsatz von KI optimieren. Die Verantwortung für die Überprüfung und Validierung der generierten Informationen liegt aber klar beim Benutzer – das heisst im Umkehrschluss, blind sollte man einer KI nicht vertrauen.
Mit »mindjourney« oder »DALL-E«, erhält man, vorausgesetzt man gibt die passenden «Prompts», also Schlagwörter, ein, sehr schnell ein brauchbares Ergebnis. Je detailreicher die Prompts ausfallen, um so besser werden die Bilder. Die Plattform looka.com (www.looka.com) hilft bei der Erstellung von Logos und unterschiedlichsten Corporate Design-Elementen. Das Ganze gibt es natürlich auch für den Video-Bereich und dann sind wir ganz schnell bei dem Thema »Deep Fake«. Der Begriff bringt es ziemlich gut auf den Punkt: es entstehen neue Bilder oder Videosequenzen, die nicht unbedingt etwas mit der Realität zu tun haben müssen.
Adobe zeigte zuletzt mit generativen KI-Modellen auf, was im Grafikdesign-Bereich alles möglich sein wird. »Generative KI ist die nächste Evolutionsstufe der KI-gesteuerten Kreativität und Produktivität, die die Konversation zwischen Creator*innen und Computer natürlicher, intuitiver und leistungsfähiger macht«, betont David Wadhwani, President of Digital Media Business von Adobe. Das Unternehmen verspricht in diesem Zusammenhang, dass mit »Firefly« jede und jeder ganz unabhängig vom persönlichen Know-how ihre/seine eigenen Worte in kreative Vorstellungen umwandeln können soll. Die ersten Applikationen, die von der Firefly-Integration profitieren werden, sind Express, Experience Manager, Photoshop und Illustrator.
Ein weiteres noch nicht klar geregeltes Thema will Adobe mit der Gründung der Content Authenticity Initiative (CAI) einfangen, um so einen globalen Standard für eine vertrauenswürdige Zuordnung von digitalen Inhalten zu schaffen. Adobe versichert, dass man sich für offene Industriestandards einsetze und dazu die kostenlosen Open-Source-Tools der CAI nutzen will. Ziel sei es, ein universelles »Tag« in den Dateiinformationen zu hinterlegen. So könnten Bildschaffende ausschließen, dass ihre Inhalte zum Trainieren von KI-Bildgeneratoren verwendet werden. Die Markierung soll mit dem Inhalt verknüpft sein, wo immer dieser verwendet, veröffentlicht oder gespeichert wird. Darüber hinaus werden KI-generierte Inhalte entsprechend gekennzeichnet und auch honoriert.
Neben den eingangs beschrieben schwachen KI-Lösungen, mit denen sich gezielte Aufgabenstellungen in der gesamte Produktionskette innerhalb der Druckindustrie optimieren lassen, werden gerade generative KI-Lösungen die Kreativ- und Designbranche nachhaltig verändern. Mit wenigen »Prompts« entstehen neue Bildwelten, Logos oder Fonts. Welche Anforderungen damit erfüllt werden können, wird schlussendlich der Markt entscheiden. Für Druckdienstleister könnten sich mit den Tools der Firefly-Plattform Möglichkeiten auftun, Kunden auch verstärkt im Grafikdesign zu unterstützen.
Während der drupa wird vermutlich noch viel diskutiert werden und deshalb sollten Sie dort sein, wo Sie die Zukunft berühren werden.
Knud Wassermann ist seit 1998 Chefredakteur der Graphischen Revue und hat in dieser Zeit das Magazin zu einem führenden Titel für Medien-Design und Produktion umgestaltet.
Nach Abschluss seines Studiums am Wiener College of Graphic Design (HGBLVA) beobachtet er seit über 35 Jahren die Branche aus verschiedenen Perspektiven. Herr Wassermann war drei Jahre lang Mitglied des Redaktionsteams des Druckspiegels und arbeitete anschließend als freier Redakteur für zahlreiche andere Zeitschriften, darunter Polygraph, Deutscher Drucker und Viscom. Zudem unterstützt er mehrere Hersteller bei der Gestaltung und Bearbeitung ihrer Kundenmagazine.
Herr Wassermann ist ständig in Kontakt mit den neuesten Entwicklungen durch intensive tägliche Kontakte zu Produzenten und Anwendern. Er bewertet, präsentiert und dokumentiert analytisch aktuelle Trends, Fakten und Hintergründe zu allen Aspekten der Druckindustrie.