Der Begriff ESG – abgeleitet von den englischen Begriffen Environmental, Social, and Corporate Governance – war vor nicht allzu langer Zeit ein fester Bestandteil von Strategiepräsentationen in Vorstandsetagen und bei Investoren. Inzwischen taucht der Begriff in den öffentlichen Äußerungen börsennotierter Unternehmen immer seltener auf. Dieser Trend spiegelt die wachsenden Zweifel wider, ob die Orientierung an ESG-Kriterien den Unternehmen hilft, ihre finanziellen Versprechen zu erfüllen – insbesondere im Hinblick auf die Rendite für ihre Aktionäre. Aber ESG deshalb für „tot“ zu erklären, geht natürlich an der Sache vorbei – auch wenn es ein schöner Titel ist. Denn obwohl ESG als Schlagwort bei Investoren und in Vorstandsetagen an Popularität verloren hat, sind die Prinzipien, die dem zugrunde liegen – eben die Nachhaltigkeit – wichtiger denn je.
Die Abkehr von ESG als Instrument des Finanzmarketings ist Teil einer tiefergehenden Veränderung: Nachhaltigkeit ist nicht mehr nur ein Mittel, um Investoren zufrieden zu stellen oder bestimmte Kriterien zu erfüllen. Sie ist vielmehr zu einer rechtlichen und operativen Notwendigkeit geworden, die vor allem durch regulatorische Vorgaben wie die europäische Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Corporate Sustainability Reporting Directive - CSRD) vorangetrieben wird.
Die CSRD verlangt von allen größeren Unternehmen, die in Europa tätig sind, ihre Nachhaltigkeitsbemühungen zu messen und darüber zu berichten. Das ist kein einfaches Ziel. Die betroffenen Unternehmen müssen nun ihre Umweltauswirkungen quantifizieren. Dazu gehören die Verschmutzung durch Lösungsmittel genauso wie der Energieverbrauch und die Wasserver(sch)wendung. Für Branchen wie die Druckindustrie, die in der Vergangenheit wegen ihres ökologischen Fußabdrucks kritisch beäugt wurden, liegt in Herausforderung aber auch eine Chance.
Wie viele andere Branchen auch muss sich die Druckindustrie auf diese neue Realität einstellen. Die CSRD ist ein klares Signal, dass Nachhaltigkeit keine Option mehr ist, sondern ein wesentlicher Bestandteil unternehmerischer Lebensfähigkeit. Um der CSRD gerecht zu werden, müssen Unternehmen nicht nur Daten sammeln, sondern diese auch verstehen, ihre Prozesse verbessern und ihre Fortschritte transparent kommunizieren.
Unternehmen, die diese Veränderungen proaktiv angehen, werden davon profitieren. Zahlreiche Beispiele auf der drupa 2024, insbesondere am touchpoint Sustainability, haben das auf vielfältige Weise vorgeführt. Indem Unternehmen ihr Engagement für Nachhaltigkeit demonstrieren, können sie die Wahrnehmung der Öffentlichkeit und der Branche verändern. Mit Innovationen bei recyclingfähigen Materialien, energieeffizienten Prozessen und Anstrengungen zur Abfallvermeidung können Unternehmen der Druckindustrie eine Vorreiterrolle einnehmen.
Die Komplexität von Vorschriften wie der CSR-Richtlinie hat zum Wachstum einer eigenen Branche von Nachhaltigkeitsspezialisten geführt. Globale Beratungsunternehmen wie Deloitte, EY und PwC, aber auch Technologieführer wie IBM und SAP sowie viele spezialisierte Nischenanbieter unterstützen Unternehmen dabei, Daten zu sammeln und daraus effektive Maßnahmen abzuleiten. Für die Druckindustrie können diese Partnerschaften wertvolle Einblicke und Werkzeuge bieten, um den Wandel effektiv zu meistern.
Da Nachhaltigkeit in den kommenden Jahren unweigerlich an Bedeutung gewinnen wird, hat die Branche die Chance, sich neu zu erfinden. Für die Druckindustrie bedeutet dies, innovativ zu sein, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken und sich als nachhaltige Alternative in einem hart umkämpften Markt zu positionieren. Die CSRD ist erst der Anfang einer Ära des Wandels, die noch lange nicht zu Ende ist.
Wenn die Unternehmen in der Druckindustrie der Nachhaltigkeit einen höheren Stellenwert einräumen, der über die bloße Einhaltung von Vorschriften hinausgeht, können sie sich auf umfassendere gesellschaftliche Ziele ausrichten, ihre Resilienz verbessern und ihren Platz in einer sich rasch wandelnden Unternehmenslandschaft sichern. ESG oder Nachhaltigkeit ist deshalb keine Frage. Nachhaltigkeit ist kein Trend, sondern die Zukunft. Unter welchem Banner auch immer: Die Zeit zum Handeln ist jetzt!